Mittwoch, 14. März 2012

Allahabad

Zugfahren ist in Indien immer wieder eine feine Sache. Gestern kam ich zeitig zum Bahnhof und dort gibt es am Eingang eine grosse Anzeigetafel fuer alle Zuege. Alle - bis auf meinen. Der tauchte dort nicht auf. Hm, ob des bereits drei Monate vorab gebuchten Tickets machte ich mir doch kurz Sorgen, aber erstmal rein in den Bahnhof, durch die Sicherheitskontrolle. Da war dann guter Rat auch erst teuer, da ist naemlich kein Mensch, den man befragen koennte. Ein Gepaecktraeger erwies sich schliesslich als hilfreich und verwies mich auf Gleis 16, sein Kollege bestaetigte dies. Gleis 16 heisst: genau am anderen Ende des Bahnhofes, Gleis 1 bis 15 wollen auf endlosen Treppenuebergaengen ueberwunden werden. Vielleicht haette ich den Traeger doch gleich engagieren sollen.

Die Gleisangabe war indes voellig korrekt. Puenktlich auf die Minute verlasse ich Delhi. Zum ersten mal fahre ich mit einem Rajdhani Express, dass ist eine besonders schnelle Zugklasse, eine Art ICE. Es gibt nur erste und zweite Klasse, sonst ist der Zug nicht anders als alle anderen. Doch, er ist aussen rot statt blau. Und verfuegt, wie ich dann feststelle, ueber einen besonderen Service. Kurz nach der Abfahrt wird bereits Mittagessen serviert: ein Gemuesecurry, Dhal, Reis, Chappatis, Pickles, Eis zum Nachtisch. Dazu bekommt jede reine grosse Flasche Wasser, alles im Fahrpreis enthalten! Zum Glueck hatte ich nicht allzu viel Proviant eingekauft und die Kekse kann ich auch spaeter noch brauchen. Zwei stunden spaeter wurde Tee gereicht, mit warmen Gebaeckteilen und allerlei Keksen. Wieder zwei Stunden spaeter gab es einen Snack bestehend aus Salzgebeck und einer Tomatensuppe, dann letztendlich ein Abendessen, umfangreich wie am Mittag. Erstaunlich das alles, besonders, dass die mit mir das Abteil teilende indische Familie die ueppige Verpflegung noch eifrig mit mitgebrachten Speisen ergaenzte. Ich habe die "meals on wheels" schon nicht ganz aufessen koennen. Wie machen die das, eine  Zugfahrt ueber 650 Kilometer fuer etwa 18 Euro in der zweitbesten Klasse und dann noch mit Vollverpflegung?

Wir sammeln kanpp eineinhalb Stunden Verspaetung an bis Allahabad. Das Hotel liegt einen Katzensprung vom Bahnhof, wie ich jetzt sicher weiss. Spaet abends und in Unkenntnis der Stadt nahm ich vorsorglich eine Rikscha, was fuer ein Geschaeft fuer den Rikschamann. Im vorgebuchten Hotel hatte man wohl nicht mehr mit meinem Erscheinen gerechnet oder betrachtet ankommende Gaeste generell als eher stoerend, den eindruck vermittelte zumindest der diensthabende Rezeptionist. Die fuer mit vorgesehene Behausung wurde zuvor von anderen bewohnt, die dort woertlich gehaust haben. Man hatte noch keine Zeit gefunden, diesen Zustand zu veraendern und das musste jetzt nachgeholt werden. Ich konnte zusehen, wie ein lustloser Angesteller das Bettzeug wechselte, kosmetisch ueber den Boden feudelte und wenige Teile der Mobilaroberflaechen mit einem Lappen streichelte. Nun, man will nicht klagen, wenigstens das Bettzeug ist in Ordnung und es gibt sogar zwei richtig saubere Handtuecher.

Kann man doch auch erwarten, schliesslich ist das hier "Deluxe". Indische Hotelzimmer sind nie einfach nur Zimmer, die sind immer Deluxe, Super irgendwas, luxery, Diamond, special, executive Suite... kurz, kaum noch auszuhalten vor Superlativen, die den verwoehntesten Gast umschmeicheln. Die Realitaet hingegen ist trist. Super Luxus heisst in der Regel: ein Bett steht drin und eine der zig Lampen funktioniert wirklich. Bei meinen Internetrecherchen habe ich ein Hotel gefunden, wo es auch Deluxe Zimmer gab und ausserdem, man staune, deutlich teurere "standard rooms". Herrlich, das wollte ich schon der Idee wegen buchen.

Doch zurueck zu Allahabad. Eine Stadt wie viele andere, die zunaechst nicht eben mit Besonderheiten aufwartet. Das alte Viertel Chowk, wo ich wohne, ist Chaos pur. Das kommt Delhi kaum mit, was Verkehrslaerm und wildes Treiben angeht. Auch hier ist man halt in einer Millionenstadt, das ist selten idyllisch. Bekannt ist Allahabad im Grunde nur wegen des Sangam. Das ist der Zusammenfluss von Yamuna und Ganges, sowie einem weiteren angeblichen, mystischen, unterirdischen Fluss, die sich hier vereinen zum "wahren" Ganges. Das heisst: der Ort ist heilig, heilig, heilig. Nicht umsonst findet hier das groesste der Kumbh Mela Feste statt, auch zu normalen Zeiten ist der Ort beliebtes Pilgerziel. Also fahre ich hin, zum Sangam. Denn der ist recht weit entfernt von der Stadt, so etwa 40 Minuten mit der Fahrradrikscha, also sicher eineinhalb Stunden zu Fuss. Motorrikschas gibt es hier kaum, allenfalls die grosse Variante mit zwei Baenken, die als Sammeltaxi und Linienbusersatz fungiert. Also Fahrradrikscha, gleich gemietet fuer einen halben Tag.

Wo heilige Wasser fließen, sind bunte Vögel nicht fern
Der besagte Zusammenfluss ist im Grunde auch nicht aufregender als das deutsche Eck, nur nicht so zugebaut. Im Gegenteil, rundherum ist kilometerweites Brachland, wo zum Kumbh Mela die Zelte aufgebaut werden. Jetzt gibt es nur einige Buden fuer die regelmaessig eintreffenden Pilgergruppen und ueberteuerte Bootsfahrten zum eigentlichen Zusammenfluss in der Flussmitte, wo Prister auf Plattformen gegen Geld Gebetsriten vollfuehren. Zu den absoluten Spitzenzeiten der Kumbh Mela sollen Boote wohl bis zu 1000 Rupien kosten, las ich. Mir wurde heute gleich eines fuer 1200 angeboten und ich warf mich weg vor Lachen. Am weitlaeufigen strand gab es auch erstmal genug zu sehen, allerlei Pilger gaben ein buntes Bild ab. Weiter ging es zum Tempel das Affengottes Hanuman. Der ist hier populaer und ungewoehnlicher Weise liegend dargestellt. Der Weg zum Hanuman-Tempel ist gesaeumt von Bettlern, besonders vielen Leprakranken. Vom liegenden Gott sieht man nicht viel, den der verschwindet unter einem Berg Blumengirlanden und staendig werden weitere drauf geworfen.

Der Ort des Zusammenflusses
Auf dem Rueckweg fallen mit im Vorbeifahren gleich vier Waffengeschaefte auf. In heiligen Orten braucht man vielleicht unheilige Hobbies zum Ausgleich, besorgniserregend. Den Rest des Tages streife ich ziellos durch die Altstadt, staune wieder ueber die volle Ladung Indien. Ein Passant moechte ein Autogramm von mir, er sprach wohl noch nie mit einem Auslaender. Sprechen ist auch uebertrieben, denn hier liegt ein Grundproblem fuer meine Forschungen zum naechsten Kumbh Mela: hier spricht so gut wie niemand Englisch. Selbst mit den Hotelangestellten und Rikschafahrern ist nur sehr eingeschraenkte Kommunikation moeglich. Ein Touristenort ist das hier auch eher nicht, ich sah bisher keinen einzigen. Dafuer gibt es wieder Tee fuer drei Rupien, ist doch schoen.

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