Mittwoch, 27. Februar 2013

Wolkenpass

Es ist leider an der Zeit, Herrn Bu und die wahrscheinlich schönste Unterkunft meiner Reise zu verlassen. Gestern abend begab ich mich zum Bahnhof (wohlweislich ließ ich mir ein Taxi rufen und den Fahrer instruieren), wo ich geraume Zeit im Warteraum herumsitzen musste. Dank eines Getränkehandels war das nicht so schlimm. Etwa eine Stunde verspätet kommt dann der Zug SE22. Mein Waggon der Klasse "soft sleeper" ist leider etwas abgewrackter als der letzte, dafür sind die (immer funktionierenden!) Leselampen schöner. Der Zug ist voll, überwiegend mit Touristen. Zügig sind alle einquartiert und man lässt sich in den Schlaf schaukeln.

Abteil für "Weichschläfer" (man beachte mein Leselicht!)
So hoch hängt die Meßlatte bei der Bahn: Kinderrabatt gibt's bis 1,05 m oder 1,32 m (wer denkt sich solche Maße eigentlich aus?)
Das gelingt ganz gut, ich erwache erst nach Sonnenaufgang. Einige Unterbrechungen gibt es natürlich. Vor allem hat der Zugführer schlecht aufgepasst oder fehlte erkrankt, als das Thema "sanft abbremsen" in der Lokführerschule durchgenommen wurde. Wenigstens erwische ich nach dem Aufwachen noch eine Weile tolles Licht mit Blick über die Reisfelder längs der Strecke. Tolle Landschaft! Reisfelder sind sowieso der Inbegriff von grün, ein vergleichbar saftiger Farbton ist selten erhältlich.

Reisfelder am Morgen sind der Stimmung zuträglich.
In Danang, der ehemaligen größten Basis der Amerikaner am Südchinesischen Meer, verlassen fast alle den Zug, um ins nahe gelegene Städtchen Hoi An zu fahren. Scheint mir gut, dass ich weiterfahre. Den Waggon habe ich fast für mich und kann mir auch den ganzen Kopfkissen einen bequemen Diwan einrichten. Der neu zugestiegene Schaffner vermittelt ein "ich Uniform - ihr alle Scheiße" und inspieziert kritisch mit weißen Handschuhen angetan die Kistchen, in denen kleine Hämmerchen für den Fall des Zugunglücks verstaut sind. Mir wird aufgetragen, das Fenster auf dem Gang zu schließen, was ich leider nur mit einem Schuterzucken quittieren kann. Soll er selbst schließen, was er dann auch tut.

Drr Zug ächzt und stöhnt und quietscht sich unter geradezu körperlichen Schmerzen im Schritttempo den Wolkenpass hinauf. Dieser ist die natürliche Wetterscheide zwischen dem tropischen Süden und dem subtropischen Norden. Er macht seinem Namen alle Ehre und die Hügel sind wolkenverhangen. Ganz rauf muss der Zug nicht, irgendwann kommt ein Tunnel und dann rollen wir munter bergab. Links Berge, rechts Merr und auf beiden Seiten näher dran üppig grüner, dichter Dschungel. Eine schöne Strecke ist das. So macht Zugfahren Sapps und es schadet auch nicht, dass wir mit rund zwei Stunden Verspätung in Hué ankommen. Mit fast 16 Stunden wird dies (hoffentlich) meine längste Zugetappe gewesen sein.

Runter vom Wolkenpass erscheint das Meer

Montag, 25. Februar 2013

Nha Trang II

Heute spazierte ich ausgiebig durch "meinen" Stadtteil. Die Touristenquote ist gleich null und der Belästigungsfaktor tendiert auch Richtung Nullpunkt. Ein einschlägiger Reiseführer berechnet den Belästigungsfaktor für Touristen durch die Zutaten Händler, Bettler und Kinder. Irritierend, Bettler sah ich hier so gut wie nie, Kinder habe ich bisher niemals unter "Belästigung" gesehen - bleiben die Händler. In der Tat, gefühlt minütlich werden einem Waren und Dienstleistungen aller Art angetragen. Hört man nicht wenigstens alle hundert Wegmeter ein "hello, motorbike?" glaubt man, irgend etwas stimmt hier nicht. Dieses Geschäftsanbahnungsgebahren erfolgt jedoch in der Regel mit angenehmer Zurückhaltung, ein freundliches "nein, danke", einfaches Kopfschütteln oder schlichtes Ignorieren lässt die Warenanpreisung schnell ein Ende finden. Lediglich einmal musste ich einem besonders penetranten Anbieter illegaler Drogen in Saigon deutlich unter Anwendung von Fäkalvokabular zu verstehen geben, was ich von ihm und seinem Angebot halte.

Mobiler Zierfischhandel, "to go"
Meine Beobachtungen sind außerdem, dass die Einheimischen ebenso häufig von Händlern aller Art frequentiert werden. An erster Stelle sind da die unzähligen Verkäufer von Lotterielosen zu sehen, die man an jeder Straßenecke und in jedem Restaurant vorfindet. Der Hauptgewinn liegt übrigens bei 1,5 Milliarden Dong, immerhin über 50.000 Euro. In Nha Trang sah ich einen mobilen Buchverkäufer, dessen Angebot ich mir sogar näher angeschaut hätte - allerdings waren nur Ausgaben in vietnamesischer Sprache vorrätig und Touristenbelästigung hatte er nicht im Programm.

Wer Lose verkauft, hat selbst nicht das große Los gezogen
Neben einem Tempel, den man nicht gesehen haben muss, der aber eines der wenigen verbliebenen Zeugnisse der Cham-Kultur ist (das Reich der Cham war ein hinduistisch geprägtes im Süden Vietnams in vergangener Zeit), trieb ich mich rund um den bunten Fischerhafen herum. Angrenzend sind eher spärliche Behausungen zu finden und der Goldrausch der Stadt scheint an den Lieferanten der frischen Meerestiere vorüber gegangen zu sein. Dafür gibt es dort am Fluss eine neu angelegte Promenade, auf der allerdings niemand promeniert, außer mir.

"Vietnam-App" (Phó = Nudelsuppe)
Schön beschirmte Schöne
Zweimal suchte ich eines meiner Lieblingslokale in Vietnam auf, das "Lac Canh". Dort qualmen die Grills, wie bereits in Saigon beschrieben und wenn gegen zehn geschlossen wird, bleibt ein Schlachtfeld zurück. Kurz: es ist herrlich. Zur Hauptgeschäftszeit geht es zu wie im Bienenstock, die Einheimischen halten zum Glück noch die Mehrheit im Laden und sind um lautstarke Trinksprüche nie verlegen.In Massen wird Bier in eiswürfelgekühlte Gläser abgefüllt. Ja, richtig: Eiswürfel - oder vielmehr: Eisklötze - im Bier! Das macht zu Hause niemand, hier ist es nicht nur üblich, sondern auch angebracht. Es sei denn, man trinkt sehr, sehr schnell oder möchte die zweite Hälfte der 650 Milliliter "San Miguel" (hier in Lizenz gebraut, man wundert sich ein wenig) lauwarm genießen. Nein, das will man nicht.

Terrasse des Lac Canh
Heute wurde ich untreu und begab mich in ein Seafood-Lokal am hiesigen Strand. Englische (geschweige denn russische) Speisekarten gibt es dort nicht und auch um die Sprachkenntnisse des Personals ist es spärlich bestellt. Das hindert keinesfalls, die gewünschten Speisen erhalte ich ebenso wie das Eis im Bier. Ein halbes duzend hübsch anzusehende, flauschige Hunde spielen Fangen quer durch alle Tische und inszenieren dann - geräuschlos! - die große Schlacht um die leere Plastikflasche. Die dürfen dass und ich darf zusehen und Trinken und Rauchen, das kann alles so einfach sein.

Heute sah ich allerlei sehenswerte Transporte. Kleiderschränke auf Motorrädern, meterlange Balken auf Fahrradrikschas und ähnliches. Man hat sich verschworen, solcherlei findet irgendwie immer dann statt, wenn ich keine Kamera zur Hand habe, oder verdeckt durch den Gegenverkehr, oder sonst irgendwas. Den alltäglichen Transportwahnsinn festzuhalten ist jedenfalls bisher mäßig gelungen. Aber faszinierend ist es allemal. Bei einem Volk, das zu Kriegszeiten schwere Artillerie über hunderte Kilometer auf Lastenfahrrädern über dschungelbewachsene Bergketten beförderte, gehört der Transprot von zehn Bierkästen auf dem Moped wahrscheinlich zur Anfängerdisziplin für Zehnjährige. Sie können es einfach und sie tun es.

Ist das beliebte Fortbewegungsmittel schadhaft, wird es jeder Straßenecke schnell zusammengeflickt
Vorüberfahrendes Gebüsch
Wieder ist ein Tag vergangen und ich baue hier nun rasch ein paar Bilder ein. Viel mehr hat sich heute nicht ereignet, es war sehr, sehr heiß und ich habe ziemlich herumgetrödelt, für einen komplett neuen Beitrag wirft das zu wenig ab. Aber wenigstens wurde schon ein Schwung Postkartern fertiggestellt ;)

Mond über Wolken über Palmen

Sonntag, 24. Februar 2013

Mehr am Meer

So, nun bin ich also am Meer. Der Nachtzug hat Saigon pünktlich auf die Sekunde verlassen und kam fast pünktlich früh am nächsten Morgen an. Schwierig war zunächst, überhaupt den Bahnhof zu erreichen. Taxifahrer in Saigon sprechen so gut wie nie Englisch und hat man keine Businesscard der Zieladresse oder diese sonstwie in Vietnamesisch aufgeschrieben (mit den korrekten Betonungszeichen) zu Hand, wird es kompliziert. Selbst bei solchen Gemeinplätzen wie dem Bahnhof. Die ersten drei Taxifahrer konnten weder mit "trainstation" oder "railwaystation", noch mit "ga" (Vietnamesisch vom Französischen "gare") etwas anfangen und hatten auch für die von mir vorgezeigte Bahnfahrkarte nur Schulterzucken übrig. Dabei dürfte dort nun irgendwas wie "Vietnamesische Eisenbahn" draufstehen und es gibt auch nur einen Bahnhof. Nun, dem vierten angehaltenen Fahrer entlocke ich Zeichen der Erkenntnis und er bringt mich zügig zum gewünschten Ziel.

Nachdem ich mich zuletzt häufig an indischen Bahnhöfen herumgetrieben habe, die rund um die Uhr einen pulsierenden Mahlstrom des Lebens zelebrieren, mutet der Ga de Saigon für eine 9-Millionen-Stadt schön provienziell an. Hier gehen auch nur eine Handvoll Züge pro Tag und heute abend nur meiner. Gesittet und ohne Gedränge kann man den Waggon besteigen und sein Bett beziehen (im doppelten Wortsinn, es liegen Bettlaken und flauschige Kopfkissen bereit). Später stoßen noch die restlichen drei Abteilnutzer hinzu, Italiener, auf Casanova gestylt, aber grobe Gesellen und Dauer-Smartphonebenutzer, die sich noch nicht einmal eines Grußes bemühen. Ich hoffe, ich habe denen über Nacht ordentlich was ins Ohr geschnarcht.

Schlafen lässt es sich recht angenehm, da ist nicht zu meckern. Gut, die Sanitäranlagen sind beklagenswert, aber will man schon in Eisenbahnen erwarten? Dafür steht der Vietnamese dem Bier- und Zigarettenkonsum in Zügen aufgeschlossen gegenüber, was ich bei längeren Fahrten als positives Signal empfinde.

Angekommen bin ich in Nha Trang, einer Stadt mit zweihunderttausend Einwohnern, etwa zehn Kilometern Stand und wohl der bekannteste Badeort des Landes. Der von mir sehr geschätzte Reiseliterat Andreas Altmann berichtet über seinen Aufenthalt dort wie folgt:
"Hätte man die Wahl zwischen Wladiwostok oder Nha Trang als Verbannungsort, man wüsste nicht, wohin."
Angesichts meiner Erinnerung an die letzten angenehmen Aufenthalte, wollte ich dem Meister hier meine Zustimmung verweigern. Zwischenzeitlich bin ich bereit, im überwiegend zu folgen. Ich kenne zwar Wladiwostok nicht, würde aber dennoch Nha Trang vorziehen, schon aus klimatischen Gründen. Aber die Anspielung passt, russisch ist hier mittlerweile zur offiziellen Zweitsprache avanciert - was per se nun nicht schlimm wäre. Schlimm ist, dass der Küstenort sich gleichzeitig erfolgreich bemüht, die Bausünden der Costa Brava zu wiederholen und zu einer Art Ballermann für Osteuropäer mutiert ist. Downtown geht es nicht mehr nur um schönen Strand, sondern hauptsächlich um Disko, Suff, Koks und Nutten im Schatten der Betonklötze.

Skyline von Nha Trang heutzutage

Vielleicht doch Wladiwostok? Nein, denn Nha Trang sind durchaus noch nette Seiten abzugewinnen. Etwa rund um den Markt, wo es ist wie eh und je, oder auch am heutigern Sonntag auf der langen Strandpromenade, wo die heimischen Familien pichnicken oder sich mit Brettspielen die Zeit vertreiben, angefeuert von duzenden Zuschauern. Der Tag ist voller netter Begegnungen, ich kann nicht klagen. Auch wohne ich ausgesprochen nett, nämlich fernab des Rummels etwa fünf Kilometer nördlich des Zentrums in einem gänzlich untouristischen Teil der Stadt. Dort betreibt Herr Bu ein Refugium, das um einen hübschen Garten gruppiert eine Oase der Ruhe verheißt. Bei der Ausstattung der Zimmer beweist sich außerdem ein Sinn für Ästhetik, der daher rühren mag, dass Herr Bu ein international anerkannter Fotograf ist. Die überall hängenden, von ihm gefertigten Aufnahmen, überweigend aus der Region und fast immer in schwarz-weiß, sind ein echter Knaller. Leider gibt es die nicht als Buch, ich würde umgehend kaufen.

Hummer to go
Brettspiele, die begeistern
Romantik unter'm Baum
Vom fotografischen abgesehen ist Herr Bu ein angenehmer, freundlicher Mensch, bei dem man gerne ein Zimmer bezieht. Gestern hat es nach meiner Ankunft hier eher ungewöhnlich den ganzen Tag geregnet. Ohne Pause, einfach so. Ich wurde umgehend mit einem Schirm ausgestattet , habe es aber vorgezogen, denn Tag überwiegend der Entspannung in der mir gebotenen Oase nachzugehen. Urlaub eben, mal erlebnisfrei. Fotos gibt es daher auch nur vom heutigen Tage und die füge ich dann später mal ein (mittlerweile ist später).


Frisches Baguette ist immer verfügbar 
Händlernachwuchs auf dem Markt

Freitag, 22. Februar 2013

Mekong

Der Mekong ist einer der mächtigsten Ströme Asiens und Lebensader für die sechs Länder, die er durchfließt. Südlich von Saigon bilden acht Arme des Flusses eines der größten Mündungsdeltas der Welt. Das Mekongdelta ist eine riesige Wasserlandschaft, außerdem Obstgarten und Reiskammer des Südens. Für mich ist es Pflichtprogramm und ich buche eine zweitägige Tour bei einem der zahlreichen Anbieter, die alle mehr oder weniger das selbe im Programm haben und mit erschwinglichen Preisen aufwarten. Früher sprach man auch von Kaffeefahrten.

Bei der Abfahrt gestaltet sich die Organisation zunächst als schwierig. Die Teilnehmer von Ein-, Zwei- oder Dreitagestouren, eventuell mit Weiterfahrt nach Kambodscha, müssen auf Busse verteilt werden und es wird eine Art "Reise nach Jerusalem" geboten. Diese setzt sich an der ersten Raststätte fort, bis dann wohl jeder da ist, wo er hin gehört. Mit einer bunten Truppe von 18 Erkundungswilligen geht es drei Stunden per Bus bis zur ersten großen Stadt im Delta. Da wird, wie es sich gehört, auf ein Boot umgestiegen und die Entdeckung der Flusslandschaften kann beginnen.

Ab auf's Boot
Der Großteil des Lebens findet hier auf den Flussarmen und zahllosen Kanälen statt, der Transport erfolgt auch überwiegend auf den Wasserwegen. Allerlei lokales Handwerk gibt es unterwegs zu sehen, von der Kokosbonbon-Herstellung über Obstplantagen bis zum Imker, der wohlschmeckenden Honigtee serviert.

Der Bienenflüsterer und seine fleißigen Viecher
Wo viel Wasser ist, wird gerne gerudert
Um eine paar schmalere Kanäle zu durchqueren, wird vom Motor- auf das Ruderboot umgestiegen. Naja, das Motoboot fährt letztlich die selbe Strecke, es geht hier wohl mehr um den "Event" Ruderboot. Zwar ist es überwiegend wolkig-dunstig, aber auf dieser Etappe brennt sie Sonne mächtig und man ist froh, dass Stohhüte für die zu Rudernden bereit gestellt werden.

Am Nachmittag sind noch 45 Kilometer bis Can Tho, der Hauptstadt des Deltas, zurückzulegen. Dies geht optional gegen Aufpreis per Boot, regulär mit dem Bus. Bei meinem letzten Besuch gehörte die Bootsfahrt noch zum Standard und ist der wohl lohnendste Abschnitt der Tour. Ich umwerbe entsprechend zahlreiche Mitreisende, damit eine ausreichende Anzahl zusammen kommt. Einige setzen sich lieber für eine Stunde in den Bus, schwer verständlich. Wenn man etwas vom Leben im Delta sehen will, muss man auf's Wasser! Zum Glück sehen das auch andere so und mit der Mehrzahl starten wir zu dreieinhalb Stunden weiterer Bootsfahrt.

Bridge over silent water
Ein bequemes Boot und immer neuer Ausblick, was will man mehr. Ich hätte auch das doppelte dafür gezahlt. Zwischendurch frage ich mich allerdings, welche Eindrücke die "Generation facebook" mitnimmt von diesem Ausflug. Die Blicke verweilen länger auf dem Ei-Phone als in der Umgebung, offenbar gibt es dort mehr zu entdecken. Die digitale Kommunikation verunmöglicht gleichzeitig die Interaktion mit den real anwesenden Menschen - mit einander sprechen, gar mit Fremden? Bäh! Ich möchte ja nicht moralisieren und bin durchaus technikafin, mir erschließt sich nur nicht, was es da alles wichtiges mitzuteilen gibt, wo man doch das wirkliche Erleben gerade verpasst. Und am besten durch Musikzuspielung per Kopfhörer noch weitere Sinne dabei ausschaltet. Man könnte jetzt kontern, dass ich die Welt auch nur durch den Sucher wahrnehme. Aber das lasse ich nicht gelten. Wer ernsthaft fotografiert, schärft den Blick und ist immer wach, immer auf der Suche nach den Details, so sehe ich das. Doch genug davon, zurück zum Mekong (da ich gerade auf einer Terrasse im verregneten Nha Trang sitze, kann ich mir solche Ausschweifungen leisten, heute habe ich dafür Zeit).

Wo man auch längs kommt, großes Gewinke
 Ein wenig ist hier im Delta die Zeit stehen geblieben. Noch immer rennen die Kinder zum Ufer, freudig winkend, wenn sie das Touristenboot entdecken. Es ist ja nicht so, als kämen hier nie Europäer vorüber, aber offenbar hält sich das noch in Grenzen. Wir passieren jedenfalls winkendes Volk am laufenden Band, man wird schon fast des Zurückwinkens müde, freut sich aber natürlich über die nette Geste. Zum Glück haben andere Anbieter diesen Abschnitt per Boot nicht im Programm und wir können hier noch gebührend Aufsehen erregen.


Irgendwann geht sogar die Sonne unter und wir erreichen Can Tho. Dort wird übernachtet und am nächsten Morgen öffnen direkt vor dem Hotel die Stände eines Baumarktes, "Praktiker" verteilt auf duzende Marktbuden. Ich betrachte dies beim morgentlichen Eiskaffee vom Händler an der Ecke und entdecke das ein oder andere interessante. Zum Beispiel Munitionskisten aus dem Krieg, die hier als Werkzeugkasten feilgeboten werden. Im Vietnamkrieg wurden derartige Unmengen an Material eingesetzt, dass auch vierzig Jahre danach noch ausreichend davon vorhanden ist. Aber zu dem Thema vielleicht später noch mehr.

7.62 mm
Während ich mich auf dem Markt herumtreibe, ergeben sich außerdem ein paar nette Gespräche mit interessierten Einheimischen.

Auch mit 90 noch am Puls des Weltgeschehens
Nicht fehlen darf natürlich der Besuch des größten schwimmenden Marktes im Delta am frühen Morgen. Auch wenn das Touristenaufkommen hier erheblich ist, der Merkt lohnt auf jeden Fall. Hier wird die Ernte der Gegend von Boot zu Boot gehandelt und auf die lokalen Märkte in den Dörfern weiter verschifft. Das ist schön anzuschauen und strahlt bei allem Trubel dennoch große Gelassenheit aus.

Auf Zuruf Zuwurf: Gemüsehandel
"Fang die Ananas" gehört zu den beliebten Disziplinen auf schwimmenden Märkten
Der Bilder und Geschichten gäbe es noch viele, doch so langsam muss ich mal zum Ende kommen. Nicht unerwähnt bleiben soll noch der Reis, das Grundnahrungsmittel schlechthin, hier angebaut und weiter verarbeitet. Unter anderem zum Beispiel zu Reispapier. Das mag der Vietnamese gerne, da kann man allerlei leckeres drin einwickeln und kann bestätigen, diese Version der Frühlingsrolle kann was. Auch Bonbons werden in dünnes Reispapier gewickelt, sehr praktisch, mit essbarer Verpackung. Die Herstellung des Reispapiers bedarf der Handarbeit und überall im Mekongdelta sieht man die Bambusgestelle, auf denen das runde Papier getrocknet wird.

Geübte Hände bei der Reispapierherstellung
Die Lufttrockung erfolgt dann mehr oder weniger von selbst
Die Rückfahrt nach Saigon dauert eine halbe Stunde länger als geplant. Nach kurzer Zeit versagt die Klimanlage im Mercedes-Bus, was angesichts der schülen Hitze nicht zu tolerieren ist. Der findige Busfahrer bringt das ganze mit Hilfe von einen Stück Kabel und zwei rostigen Scheren schließlich wieder ans Laufen, Mac Gyver wird daneben blaß. Während der Gute bastelt, erscheinen aus dem nichts - wir stehen neben einem öden Acker im Nirgendwo - fliegende Händler mit Eiskaffee, wunderbares Asien.

Fahrer mit eingebauter Mercedeswerkstatt
Gut, wenn Spezialwerkzeug an Bord ist



Saigon Kontraste

Nachdem ich die letzten beiden Tage im Mekong-Delta unterwegs war und natürlich keinen Laptop mitschleppte, geht es nun kurz weiter. Ab morgen steht der Aufenthalt im Badeort Nha Trang an, dort wird dann denke ich wieder etwas mehr geschrieben zu den letzten Tagen.

Dienstag habe ich Herrn Van Dang in meine Dienste genommen. Herr Van Dang besitzt ein Motorrad und die beiden kann man mieten, so habe ich es gemacht, um die etwas abseits der Sehenswürdigkeiten im Zentrum gelegenen Gegenden von Ho-Chi-Minh Stadt zu erkunden. In einer Stadt, in der es bei neun Millionen Einwohnern etwa sechs Millionen Motorräder gibt, sollte das die adäquate Fortbewegungsmöglichkeit sein. Also Helm auf und los.

Saigon ist in ein duzend Bezirke ("Quan") unterteilt. Quan 1 ist das historische Stadtzentrum, das kenne ich nun zur Genüge. Also fahren wir erst einmal in den Bezirk 4, wo es in einem Privathaus einen geheimen Bunker zu besichtigen gibt. Dort waren vor der Tet-Offensive über Monate 19 "Vietcong" in einem versteckten Keller einquartiert, der gleichzeitig als Waffenlager diente. Der damalige Hausbesitzer lebt nicht mehr, aber sein Sohn hat eine Art kleines Museum eingerichtet.  Durch eine herausnehmbare Bodenfliese im Flur zwängt man sich in den niedrigen Kellerraum, ich passe so gerade da rein.

Weiter geht es in den Bezirk 2, der auf meinem Stadtplan von 2010 noch ein weitgehend weißer Flecken ist (irgendwie unlogisch bei der Nummerierung). Inzwischen stehen dort gepflegte Appartementhäuser der oberen Mittelschicht, gediegenes Wohnen im Grünen, aber etwas vom Schuss. Ein Cafébesuch löst mächtig Interesse der Bevölkerung aus, Europäer sieht man hier eher selten.

Der Bezirk 7 schließt sich an, da wird es richtig nobel. Villen in "gated communities", umschwärmt von Wachpersonal, Fotos streng verboten. Wer (neu)reich ist, muss das auch zeigen und leider in der Angst leben, man könnte ihm wieder etwas weg nehmen. Das Leben im goldenen Käfig scheint weltweit ein Zukunftsmodell für einige Menschen zu sein. Um die Ecke steht auch das teuerste Seafood-Restaurant Vietnams. Alleine die Tischreservierung, heißt hier: privater Speisesaal, schlägt mit 1500 US$ zu Buche. Dafür wird man dann aber auch im hauseigenen Rolls-Royce zum Dinnieren abgeholt.

Der mehr oder weniger angrenzende Bezirk 8 ist das krasse Gegenteil. Hier stehen slumähnliche Wellblechhütten auf Pfählen dichtgedrängt an den Ufern von Kanälen und Flüssen. So ähnlich sah es mal in weiten Teilen der Stadt aus.

Kontraste in Quan 8
Jenseits eines Kanals erreichen wir dann Quan 5, Cholon, die "Chinatown". Rund um den meiner Meinung nach schönsten Markt der Stadt lebt die chinesische Gemeinde seit Entstehung der Stadt. Hier verabschiede ich meinen Motorradfahrer und bin froh, den Helm loszuwerden. Markt und Umgebung bieten Kurzweil für den Nachmittag, ebenso einige alte chinesische Tempel in der Gegend.

Cholon Markt
Frische Kokosnuss erfreut immer
In der Pagode darf Räucherzeug nicht fehlen

Montag, 18. Februar 2013

Jadekaiser

Heute war eine Taxifahrt notwendig, um den etwas abseits gelegenen Tempel des Jadekaisers zu besuchen. Der Jadekaiser ist sozusagen der Star im taoistischen Götter- und Geisterhimmel. Leider konnten die angefragten Taxifahrer nichts mit "emporer of jade" anfangen und waren überhaupt des Englischen nicht mächtig. Es gelang mir, die Adresse des Tempels auf vietnamesisch zu besorgen und dann konnte es losgehen.

Heute war ein besonderer Festtag (welcher konnte ich leider nicht herausfinden, sprachliche Grenzen auch in diesem Fall). Das brachte mit sich, dass der Tempel nicht das bekannt ruhige Plätzchen war, sondern die Gläubigen zu Tausenden herbeiströmten. Besser geht es nicht, so will man das erleben. Von Sicherheitskräften kanalisiert wird die Masse durch das düstere Tempelinnere geschoben und gedrängelt, indische Verhältnisse. An eine Betrachtung der zahlreichen, teils sehr kleinen und detailierten Figuren in den Tempelräumen ist nicht zu denken, dafür darf man teil der Kulthandlung sein und einen Rausch der Sinne erleben. Singsang hier, Papiergeldverbrennung dort, im Teich werden auf der einen Seite Fische freigelassen (bringt Glück), auf der anderen die toten Wassertiere aus der schlammigen Brühe geborgen. Das alles ist eine permanente Weihrauchwolke von abertausenden Räucherstäbchen gehüllt.

An allerlei guten Gaben darf es nicht fehlen
Auch nicht am Räucherwerk
Dichtgedrängte Huldigung
Das soll für heute genügen. Überall wird hier mit kostemlosen Wifi um sich geworfen, aber ich will ja nicht den halben Tag vor dem Laptop hocken. Dafür wird nun noch rasch mit ein paar Bildern angereichert.

Kein Bankräuber, sondern der offizielle Motorrad-Parkplatz-Einweiser des Tempels

Sonntag, 17. Februar 2013

Ho, Ho, Ho-Chi-Minh-Stadt

Vorausschauender Optionbuchung sei Dank ist es gelungen, für einen überschaubaren Obulus in die Business-Class zu wechseln. Was soll ich sagen? Einfach geil! Wenn man nicht gerade mit Getränken oder erstaunlich schmackhaften Speisen belästigt wird, was in hoher Frequenz passierte, kann man in wirklich bequemen Liegesesseln dahin vegetieren. Naja, zu bemängeln wäre, das bei maximaler Höhenverstellung der Fußstütze und maximaler Rückenlehnenverstellung des Vordermanns die Zehenspitzen Kontakt zu dessen Lehne bekommen. Schlimm, das. Also im Ernst, ich hoffe, das klappt auch für den Rückflug, bei 12 Stunden ist das ein echter Gewinn und die Zeit vergeht, tja, wie im Fluge. Vor lauter Bequemlichkeit bin ich noch nicht einmal dazu gekommen, mir einen Film anzusehen ("Django uncained" gab's eh nicht).

Sehr pünktlich in Ho-Chi-Minh-Stadt (ich schriebe zukünftig: Saigon) angekommen, traf mich zuerst der Temperaturschock. 24° morgens um sieben sind natürlich noch human, aber eben auch tropisch feucht und aus dem deutschen Winter kommend wie ein Saunabesuch. Die diversen Einreise- und Zollformulare hat man zwischenzeitlich abgeschafft und im Rekordtempo passiere ich den bemüht grimmigen Immigrationsbeamten. Dann steh ich da, zwischen den gefühlt 100 Namensschildern ist mein "Abholer" nicht aufzutrieben. Ein Anruf im Hotel bestätigt: Unfall, was weiß ich, jedenfalls: da kommt keiner. Also zurück in den Flughafen (was gar nicht so einfach ist, eine Wache will's verwehren), um Geld zu wechseln (der Automat war leider kaputt) und dann ein Taxi zu schnappen. Das klappt reibungslos und der Fahrer kutschiert mich gemächlich, aber den Prepaid-Preis einhaltend und nicht um Trinkgeld feilschend, zur gewünschten Adresse.

Dort lade ich mein Gepäck ab und habe erst einmal Zeit, das Zimmer ist erst in zwei Stunden zu beziehen. Also erst einmal einen Eiskaffee, das können die in Vietnam gut und es wird auch allmählich mächtig warm. Alles sonst nötige kann ich auch gleich organisieren, also eine SIM Karte für das Telefon kaufen und eine zweitägige Tour in's Mekongdelta buchen. Am Geldautomaten stelle ich Liquidität her und hebe den Höchstbetrag ab, schlappe vier Millionen. Bei vietnamesischen Dong heißt das aber nichts, das sind gerade einmal 160 Euro.

Nach dem Zimmerbezug (klein, aber ok, mit Kühlschrank, Bad und Klimaanlage für gerade mal zehn Euro) ist ein Mittagsschlaf von Nöten. Das Hotel wird immer noch von der gleichen Familie betrieben. Der Sohn, der heute an der Rezeption sitzt, war bei meinem letzten Besuch noch ein Dreikäsehoch, wie wir schnell feststellen.
Morgens vor dem Hotel (das höchste der schmalen Häuser)
Aber in neun Jahren ändert sich eh vieles, wie ich feststelle. Nicht nur die Nachkommen sind gewachsen, auch die Häuser. Saigon hat sich eine respektable Hochhaussilhouette zugelegt, dafür wurden die Dörfer (oder auch Slums) jenseits des Flusses eingeebnet und das ganze wird sicher in Kürze auch hochhausbebaut. Mein erster Spaziergang in das Zentrum ernüchtert, irgendwie erscheint mir das hier alles zu sortiert, zu sauber. Trügen mich meine Erinnerungen oder bin ich nach fünf Indienreisen einfach zu blind in solchen Dingen? Ich bin mir nicht sicher, aber Saigon habe ich anders im Kopf. Im Zentrum wetteifern Armani, Gucci, Rolex uns Konsorten um die Gunst der "Shopper", la-ng-wei-lig... das ist wie in Dubai, New York, Berlin, Haste-nicht-gesehen. Den Vietnamesen sei es gegönnt, gar keine Frage, aber ich glaube, die kaufen hier nicht allzu oft ein. Als Einkaufsdestination für Besserverdienende hätte ich Vietnam bisher nicht beschrieben, heute scheint das aber so zu sein. Ach ja, auch die Fastfood-Ketten aller coleur sind mittlerweile an Bord und die Preise entsprechend. Der Verkehr ist mäßig, es ist Sonntag, aber eins schockt mich dann doch: ich gehe über eine seltsamer Weise existente Fußgängerampel (!) und die meisten Fahrzeuge bleiben stehen (!!!).

Immer das Neuste - Zeitungswiederverkäufer
Ich fahre auf den neuen Bitexco-Tower, immerhin fast 300 Meter hoch, um mir für teuer Geld einen (dunstigen) Überblick zu verschaffen. Dann geht es weiter zum alt-ehrwürdigen Hotel Rex, seinerzeit Standort für die Presseverlautbarungen des US-Kommandos. In noch früheren Zeiten war es eine Autowerkstatt und diesen Charme versprühte es auch noch, zwar nobel, aber kitschig und irgendwie vietnamesisch. Der Kitsch ist fort, es wurde mächtig aufpoliert, aber der Blick von der Dachterrasse passt noch immer (auch wenn der Begleitcocktail schon happig teuer ist).

Der Sozialismus lebt - auch vor dem Bitexco-Tower
Saigon heute
Saigon gestern - das alte Rathaus
Zum Abendessen laufe ich zum "Bó Lung Xeo", was ein einzigartiges Grillrestaurant ist. Hier ist die Zeit stehen geblieben. Nach wie vor hat der Laden den Charme einer Großgarage, in der megenweise Bier konsummiert wird und man alles auf den Grill wirft, was Beine hat (von den Tischen und Gästen mal abgesehen). Auf allen Tischen qualmen die kleinen Kohlegrills und man kann von Frosch über Salamander bis zum Krokodil so ziemlich alles rösten. Ich bleibe beim Tintenfisch und dem marinierten Rind, das dem Laden seine Namen gab, eine Köstlichkeit. Es ist Sonntag, bei der vietnamesischen Großfamilie am Nebentisch stehen schon zwei Kästen Bier unter dem Tisch, man feiert. Sonst würde man auch kaum irgendwo Einklötze im Bierglas akzeptieren, hier ist das üblich und passend. Und natürlich darf man rauchen, es ist eh alles verqualmt. Zusammen gefasst: ein Laden, in dem es sich aushalten lässt.

In der Grillbude
Ich halte auch länger aus als geplant. Ein älterer Herr vom Nachbartisch gesellt sich zu mir. Herr Loc ist 70 und ehemaliger Direktor eines Krankenhauses, er spricht vier Fremdsprachen und weiß vieles zu erzählen. So nimmt der Abend noch eine unterhaltsame Wendung und es werden doch noch ein paar Bier mehr bestellt. Wieder eine Begegnung, die kaum zustande gekomen wäre, wäre ich nicht alleine unterwegs.

Dekorationen zum Neujahr (das chinesische Mondneujahr ist gerade erst vorüber)
Zurück in meiner Straße stelle ich fest, dass hier zwischenzeitlich auch "Partytime" ausgebrochen ist. Ich wohne im "Backpacker-Viertel" von Saigon, wo der Trubel doch erheblich zugenommen hat. Mit dem Unterschied zu anderen Orten, dass sich viele Einheimische tummeln und die mittlerweile zahlreichen "Biergärten" mit nutzen. Nah Sonnenuntergang werden allenorts Plastikstühlchen auf die Straße gestellt, billiges Bier ausgeschenkt und der Rest kommt von selbst. Oder auch aus den Lautsprechern, die sich um Beschallung der gesamten Straße bemühen. Fast wie in Bangkok hier, nehme ich erstaut zur Kenntnis.

Zeitig ruft das Bett, es gibt ja noch mehr zu tun morgen. Fotos werden vielleicht später noch nachgeliefert, aktuell ist mir das zu anstrengend. Hallo, es is Urlaub!