Dienstag, 5. März 2013

36 Gassen

Die Altstadt von Hanoi ist die der 36 Gassen, benannt nach den ehemaligen Zunftdörfern, aus denen die Stadt vor langer Zeit begründet wurde. Die Gassen sind nach den früher dort gehandelten Waren benannt, es gibt die Fisch-, die Hut-, die Sonstwas-Gasse. In der Schmiedegasse wird noch heute gehämmert was das Zeug hält, in der Straße der Bambusleitern kann man solche noch finden und in der Papiergasse wird eben solches gehandelt. Überwiegend wird mittlerweile allerdings ein gemischtes Warenangebot inklusive Hotels, Reisebüros und Souvenirshops vorgehalten.

Die Altstadt ist kurz zusammenzufassen: Reizüberflutung pur! Alte wie neue Häuser säumen dichtes Motorradgedränge, Frauen schleppen Tragekörbe mit Obst herbei, das ganze überdacht von vielen schattenspendenden Bäumen und einem unglaublichen Kabelsalat, der Moderne und dem damit einhergegenden Bedarf an Strom und Datenleitungen Rechnung tragend. Während man links das mit geschätzten tausend bunten Bällen beladene Motorrad bestaunt, wird man von rechts fast überfahren (besonders tückisch sind da diese geräuschlosen Elektrokleinbusse, mit denen man hier inzwischen Reisegruppen herumkutschiert), gleichzeitig ertönt der Ruf "one hour?" vom Fahrradrikschafahrer und man bekommt frische Ananas oder gefälschte Zippo-Feuerzeuge angeboten. Zu den Lockrufen vernimmt man gleichzeitig fortlaufendes Hupen, von oben Vogelgezwitscher aus den duzenden Vogelkäfigen, die an jedem Haus hängen und das Gehämmer irgend einer Werkstatt. Der Geruch  von Gegrilltem weht aus der nächsten Garküche herbei, dann wieder Abgasschwaden und aus der Godde der Geruch eben dieser. Hier werden alle Sinne gefordert, ohne Unterbrechung. Je weiter man nach Norden oder an den Rand der Altstadt vordringt, um so geringer ist das Touristenaufkommen und es wird ruhiger, wenngleich die Geschäftigkeit der Altstadt natürlich nie verloren geht. Großartig, ich liebe diese Altstadt. Heute machte ich mich zeitig gegen sieben auf zum Markt, um sechs Uhr abends kam ich zurück und bin ziemlich platt. Die volle Dröhnung Altstadt, von Sonnenauf- bis Untergang, das schafft (Fotos gbit's deshalb heute keine mehr, ganz sicher nicht).

Schön sind immer die spontanen Begegnungen, das Salz in der Suppe des Reisenden. Zum Beispiel heute auf der uralten Long Bien Brücke. Ich stehe da herum, Bremsen quietschen und neben mir springt ein Mann vom Fahrzeug. Ich schätze mal jenseits der 60, mit einem Plastik-Bauerarbeiterhelm behütet, Fahrrad statt Motorrad, dem ersten Anschein nach so der Typ Säckeschlepper auf dem Markt oder Bananenkleinbauer aus dem Umland. Aber nein, Herr Tuy spricht Englisch, Französisch sowie Spanisch und stellt interessierte Fragen über dies und das. Da sieht jemand einen Fremden, unterbricht sein Tagewerk und hält an, um sich einfach ein wenig zu unterhalten - ist das nicht grandios? Wir sprechen eine ganze Weile, er zeigt noch seine frisch auf dem Markt erstandenen Pflanzen, die er für seinen kleinen Garten gekauft hat, als Pensionät hat er Zeit für sowas. Er freut sich, das Fremd Interesse an seinem Land haben, ich freue mich, so wieder ein kleines bischen mehr zu erfahren.

Lustig war auch die Konversation in einer Kaffebude am Markt. Das ging alles nur mit Zeichensprache und - als die Fragen nach Alter, Größe, Kinderzahl aufkamen, mit Hilfe eines Taschenrechners. Bei den Kindern habe ich geflunkert, das hätten dei mir sonst nicht glauben wollen.

Schön ist auch, wenn man hier irgendwo zum zweiten Mal einkehrt, wird man wie ein Stammkunde freudig begrüßt. Kommt man gar zum dritten Mal, geniesst man geradezu die Behandlung, als wäre man ein Staatsgast. Treue wird honoriert, das gilt für den Kiosk an der Ecke ebenso wie für die Suppenküche. Das war im ganzen Land so. Am Bahnhof von Nha Trang wurde ich sogar freudestrahlend von einem Kellner des Lac Canh begrüßt, der Verwandtschaft zum Zug brachte und sogleich allen seinen Gast vorstellte. Viele Menschen, denen man gerne begegnet und die eine Handvoll Taugenichtse, die es natürlich auch gibt, tausendfach aufwiegen.

Schwierig gestaltete sich, für mich überraschend, die Suche nach einem dringend benötigten Barbier in Hanoi. Der erste Straßenfriseur, den ich sah, muss noch deutlich an seiner Preiskalkulation arbeiten, will er mich als Kunden gewinnen. Der nächste dann heute Nachmittag strahlte altesbedingte Erfahrung aus und nannte akzeptable Konditionen. Dieses mal wurde ich zunächst mal fotografiert, offensichtlich sein erster Kunde aus fernen Landen. Leider führte er die Klinge, als wäre ich überhaupt sein erster Kunde. Halb gehäutet, halb verstoppelt trollte ich mich nach der Prozedur. Teuer wäre vielleicht doch besser gewesen, aber weiß man's?

Ein paar alte Hanoier Institutionen habe ich wieder entdeckt. So das Café Giang, wo seit Genrationen nach Hausrezept mit Ei aufgeschäumter Kaffee serviert wird. Klingt dubios, ist aber absolut köstlich. Die enorm gestiegenen Immobilienpreise in der Altstadt haben das Café aus der Nähe des Sees an den Altstadtrand vertrieben. Hätte mir nicht ein Kundiger die Adresse genannt, man würde es niemals finden. Neben einem düsteren Hauseingang ist der Name angepinselt und man muss dem engen Gang folgen, bis sich das Café in einem schummrigen Flur auftut. Ähnlich war das an der alten Adresse allerdings auch. Und genauso ist es beim Restaurant "Bittet". Das wurde Ende der 80er Jahre als eines der ersten privaten Lokale von vier Schwestern gegründet. Die mittlerwiele alten Damen bewirtschaften noch heute den Laden, der immer noch mehr wie ein Nachbarschaftstreff als wie ein Restaurant wirkt. Das ganze befindet sich in einem typischen Altstadthaus. Die sind schmal, nur wenige Meter breit, aber dafür bis zu hundert Meter tief. So muss man hier einem endlosen, schmalen Flur folgen, vorbei an Werkstätten, Wohnräumen, Innenhöfen, bis man ganz am Ende des Ganges (in Kolkata?!) zur Küche gelangt, die man halb durchquert und den dameben liegenden Speiseraum betritt. Dort stehen zwei Reihen Tische und wie eh und je wird Fischsuppe serviert und "Bittet", die vietnamesische Variante des Beefsteak, mit Spezialsauce. Hier bleib die Zeit stehen, für mich ein echter Nostalgiebesuch. Zum Glück ist das Lokal in den meisten Reiseführern nicht zu finden.

Morgen geht es für zwei Tage in die Halongbucht. Mal sehen, ob das Wetter hält. Heute ist es nämlich überraschend am späten Vormittag aufgeklart und es herrschte schönster Sonnenschein. Da war ich angeschmiert mit meiner Fleecejacke, es ging gegen 25°. Wobei, Wolken und Nebel wären mir der Atmosphäre wegen in der Halong-Bucht fast lieber. Ich werde berichten.

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