Dienstag, 8. Oktober 2013

Gentrifizierung

Zwei ereignisreiche Tage liegen wieder hinter uns. Wir machen fleißig per pedes nicht nur Kilometer, sondern auch einige Höhenmeter, da die Stadt nun mal auf Hügeln liegt. Gestern war touritisches Standardprogramm angezeigt, wir besuchten die Blaue Moschee umringt von Reisegruppentrauben. Das Bauwerk begeistert dennoch mal wieder, auch wenn wenig Blaues daran zu finden ist.

Weiter ging es zum Topkapi Palast, der eine zweite Chance bekam bei mir. Aber leider reichte es wieder nur für die Kategorie "ganz nett". Immerhin verbindet sich damit zwangsläufig ein netter Spaziergang durch die Gärten, natürlich über einen Hügel, mit schönen Ausblicken auf das Marmara-Meer.

Ausblick auf Galata
Dummerweise ist der Palast eine Sackgasse, wir müssen den ganzen Weg zurück und dann unterhalb des Topkapi wieder quer über den Hügel, um den wohl schönsten Teegarten Istanbuls zu erreichen. Der liegt am Ende der Landzunge zwischen Goldenem Horn, Bosporus und Marmara-Meer und entsprechend genial ist der Ausblick hinunter auf das die Wasserwege und die Stadt rings herum.

Abwarten und Tee trinken
Serviert wird hier in der Zweikannentechnik, die kleine mit Tee, die große mit Wasser. So ist man eine Weile beschäftigt und mischt sich mehrere Gläschen des leckeren Gebräus zusammen. In der Sonne sitzt es sich angenehm, entsprechend wird verweilt.

Täglich einen im Tee
Der Rückweg führt uns durch ein paar Steile Gassen in Sultanahmed, wo wir dann auch noch ein Wasserpfeifencafé aufsuchen. Hier sitzt es sich einfach nett und mit dem dutenden Apfel-Anis-Tabak kann man sich auch eine Zeit lang beschäftigen. Nur nicht inhalieren, Wasserpfeifen werden nicht geraucht, sondern "getrunken".

Auf Kissen ist gut Blubbern
Und schon ist es später Nachmittag, die Hagia Sophia taucht in goldenes Abendlicht und es wird Zeit, noch einen Rundflug mit Bärbel zu unternehmen. Genau so passiert es und die Aufnahmen werden jedes Mal besser. An neugierigem Publikum mangelt es ebenfalls nicht.


Man weiß nicht warum, aber in Istanbul gibt es auf den Straßen Katzen ohne Ende. Es entsteht der Eindruck, dass jedem Einwohner, auf jeden Fall aber jedem Restauranttisch, eine eigene Mietze zugeteilt wird. Die Viecher sind jedenfalls überall und meist recht unterhaltsam.

Catwalk Istanbul
Den heutigen Tag verbrachten wir auf der anderen Seite des Goldenen Horns. Mit der Straßenbahn über die Brücke und dann erst einmal bergauf, steil und steiler, bis zum Galataturm. Von dort geht es dann, man ahnt es, noch ein wenig den Berg hoch und man erreicht Tünel und die Fußgängerzone Istiklal Caddesi. Diese führt zum Taksin Platz, der in letzter Zeit eine gewisse Medienpräsenz hatte. Zwischenzeitlich hat sich das allerdings absolut beruhigt und tränengasfrei lässt sich flanieren. Der Platz als solcher ist eh nicht gerade sehenswert und für uns nur Durchgangsstation.

Vitamine steigern das Wohlbefinden und Granatapfelsaft schmeckt ausgezeichnet
Nur ein paar Schritte vom Taksin und der Einkaufsmeile entfernt liegt das völlig contraire Viertel Tarlabasi. Hier gammeln die Fassaden aus dem 19. Jahrhundert, von den ehemals gutbürgerlichen Wohngebäuden der europäischen Bohéme blättert der Putz. Das Viertel hat sich zu einer Art zentrumsnahem Armenviertel entwickelt, wo Einwanderer aus den fernen kurdischen Dörfern Tür an Tür mit Afrikanern und Roma leben und allen, die es sonst in die türkische Metropole verschlägt mit der Hoffnung auf ein besseres Leben. Und natürlich alteingesessenen "kleinen Leuten", die sich hier zumindest noch zentrales Wohnen leisten können.

Der Ruf des Viertels war lange nicht der beste, zu viele Drogen, zuviel Prostitution, zu viele zwielichtige Gesellen. Da lag es nahe, dem ganzen den Garaus zu machen. Die Lage ist top, das lässt sich gut vermarkten und nobel bebauen. Nach und nach wird das historische Viertel daher abgerissen und soll durch konsumorientierte Hochglanzbauten erstetzt werden. Aha, daher der Titel des heutigen Postings.

Tarlabasi - zwischen Armut und Abriss
Bevor die Abrissbirne hier alles zunichte macht, wollte ich dieses alte Stück Istanbul unbedingt noch sehen. Einige Zeit verbringen wir daher in dem Viertel, dank steiler Hanglage ein Spaziergang mit etwas alpinem Charakter. Einige interessante Einblicke in das Leben der einfachen Leute gibt es hier ebenso wie Tee und eine preiswerte Rasur.

Ob diese nun in die Tat umgesetzte Form der Stadtsanierung, die sich auch anderenorts vielfach besichtigen lässt, tatsächlich zur Bereicherung des urbanen Lebensraums führt, man wird es sehen. Für viele ist jedenfalls in unseren zukünftigen Stadtzentren kein Platz mehr.

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