Mittwoch, 1. September 2010

Finale

Erschrocken blinzelt man früh morgens den letzten Tag in Istanbul an. Erschrocken insbesondere deshalb, weil es sich über Nacht mächtig bewölkt hat und das einen argen Temperatursturz mit sich bringt. Schweiß ade, trotzdem wage ich es ohne Jacke das Haus zu verlassen. Pünktlich mitten auf der Galata-Brücke beginnt es zu regnen, zunächst ein netter Niesel. Zum Glück hält der nicht allzu lange an.


Freunde des Sitzens auf Sitzsäcken werden sich auf der unteren Etage der Galata-Brücke schnell heimisch fühlen. Übrigens auch Liebhaber von Kunstleder-Sitzmöbeln und floralen Zierelementen aus Plastik, das Bild fehlt hier leider.

Heute bin ich noch ein wenig in Galata herumgelaufen, dort gibt es die längste Einkaufsstraße, eine Fußgängerzone von knapp drei Kilometern. Früher, zu Zeiten des Orientexpress, um die vorletzte Jahrhundertwende, war das die noble Gegend. Botschafter residierten hier, Agatha Christie schrieb im Palas-Hotel den "Mord im Orient Express" und eine Straßenbahn wurde eingerichtet. Die fährt heute, über 100 Jahre später, immer noch und ist Teil des eher knapp bemessenen Nahverkehrssytems dieser Stadt.



Nostalgische Fortbewegung auf der Straße der Unabhängigkeit

Sonst ist die Gegend etwas enttäuschend. Ramschläden und Dönerbuden wie zu Hause dominieren, dazu die bekannten Ketten a la Starbucks und wie sie alle heißen. Einige Kleinode des Jugendstils gibt es noch zu entdecken, von liebevoll gepflegt bis einsturzgefährdet reicht die Palette.


Jugendstil at it's best

Tja, und dann kam der Regen so richtig. Ziemlich nass erwische ich noch einen überdachten Platz in meinem Lieblingsrestaurant, falls man nach so kurzer Zeit schon derartige Bestnoten vergeben kann. Dort ließ sich bei uns daheim längst in Vergessenheit geratenes beobachten. Am Tisch neben mir saßen vier feine Damen, diese Bezeichnung wird ihnen am besten gerecht, meine ich. Diese ließen Essen herbeibringen, dann Süßes und schließlich gab es türkischen Kaffee bei reichlich Zigaretten. Jetzt das eigentlich interessante: man übte sich ausgiebig in der Kaffeesatzlektüre. Ausgetrunken wurden die Mokkatässchen auf die Untertasse gestürzt derjenigen übergeben, die sich wohl am besten auf die Kunst des Kaffesatzlesens versteht. Und das wurde dann lange hin und her diskutiert. Keine Ahnung, welche Prophezeihungen zur Spreche kamen, ich verstehe leider ebendiese Sprache nicht. Für mich sah das auch alles gleich aus, brauner Schmodder halt. Aber es ist doch schön, dass Menschen noch Zeit für solche Dinge finden und sich dabei angucken lassen.


Die vier Kaffeesatzleserinnen (eine gerade abwesend)

Jetzt muss ich mich aber wieder der Konversation mit meinem Tischnachbarn widmen, außerdem will man später ja auch noch was zu erzählen haben.