Nachdem ich mich zuletzt häufig an indischen Bahnhöfen herumgetrieben habe, die rund um die Uhr einen pulsierenden Mahlstrom des Lebens zelebrieren, mutet der Ga de Saigon für eine 9-Millionen-Stadt schön provienziell an. Hier gehen auch nur eine Handvoll Züge pro Tag und heute abend nur meiner. Gesittet und ohne Gedränge kann man den Waggon besteigen und sein Bett beziehen (im doppelten Wortsinn, es liegen Bettlaken und flauschige Kopfkissen bereit). Später stoßen noch die restlichen drei Abteilnutzer hinzu, Italiener, auf Casanova gestylt, aber grobe Gesellen und Dauer-Smartphonebenutzer, die sich noch nicht einmal eines Grußes bemühen. Ich hoffe, ich habe denen über Nacht ordentlich was ins Ohr geschnarcht.
Schlafen lässt es sich recht angenehm, da ist nicht zu meckern. Gut, die Sanitäranlagen sind beklagenswert, aber will man schon in Eisenbahnen erwarten? Dafür steht der Vietnamese dem Bier- und Zigarettenkonsum in Zügen aufgeschlossen gegenüber, was ich bei längeren Fahrten als positives Signal empfinde.
Angekommen bin ich in Nha Trang, einer Stadt mit zweihunderttausend Einwohnern, etwa zehn Kilometern Stand und wohl der bekannteste Badeort des Landes. Der von mir sehr geschätzte Reiseliterat Andreas Altmann berichtet über seinen Aufenthalt dort wie folgt:
"Hätte man die Wahl zwischen Wladiwostok oder Nha Trang als Verbannungsort, man wüsste nicht, wohin."
Angesichts meiner Erinnerung an die letzten angenehmen Aufenthalte, wollte ich dem Meister hier meine Zustimmung verweigern. Zwischenzeitlich bin ich bereit, im überwiegend zu folgen. Ich kenne zwar Wladiwostok nicht, würde aber dennoch Nha Trang vorziehen, schon aus klimatischen Gründen. Aber die Anspielung passt, russisch ist hier mittlerweile zur offiziellen Zweitsprache avanciert - was per se nun nicht schlimm wäre. Schlimm ist, dass der Küstenort sich gleichzeitig erfolgreich bemüht, die Bausünden der Costa Brava zu wiederholen und zu einer Art Ballermann für Osteuropäer mutiert ist. Downtown geht es nicht mehr nur um schönen Strand, sondern hauptsächlich um Disko, Suff, Koks und Nutten im Schatten der Betonklötze.
Skyline von Nha Trang heutzutage |
Vielleicht doch Wladiwostok? Nein, denn Nha Trang sind durchaus noch nette Seiten abzugewinnen. Etwa rund um den Markt, wo es ist wie eh und je, oder auch am heutigern Sonntag auf der langen Strandpromenade, wo die heimischen Familien pichnicken oder sich mit Brettspielen die Zeit vertreiben, angefeuert von duzenden Zuschauern. Der Tag ist voller netter Begegnungen, ich kann nicht klagen. Auch wohne ich ausgesprochen nett, nämlich fernab des Rummels etwa fünf Kilometer nördlich des Zentrums in einem gänzlich untouristischen Teil der Stadt. Dort betreibt Herr Bu ein Refugium, das um einen hübschen Garten gruppiert eine Oase der Ruhe verheißt. Bei der Ausstattung der Zimmer beweist sich außerdem ein Sinn für Ästhetik, der daher rühren mag, dass Herr Bu ein international anerkannter Fotograf ist. Die überall hängenden, von ihm gefertigten Aufnahmen, überweigend aus der Region und fast immer in schwarz-weiß, sind ein echter Knaller. Leider gibt es die nicht als Buch, ich würde umgehend kaufen.
Hummer to go |
Brettspiele, die begeistern |
Romantik unter'm Baum |
Frisches Baguette ist immer verfügbar |
Händlernachwuchs auf dem Markt |
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