Sonntag, 26. November 2017

Fluch und Segen

Nun hänge ich einige Tage hinterher und hole ein wenig nach.

Zunächst noch einmal Kolkata. Nachts um drei sitze ich eine Stunde auf dem Balkon (Jetlag? Keine Ahnung) und stelle fest: die Stadt kann auch leise, mucksmäuschenstill geradezu. Zu den miesten Tageszeiten ist das undenkbar, denn es gilt: nur wer hupt, ist anwesend. Neben den dosierten Hupenden gibt es die Viel- und die Dauerhuper, letztere sind die Mehrzahl. Fortbewegung insgesamt scheint den Inder eher zu stressen, unvorstellbar, einmal nicht der erste zu sein.

Wer mit wenig resit, muss öfter waschen. Trocknen geht fix auf dem Balkon.

Wohl kaum sonstwo sorgt eine derart breite Palette von Transportmitteln für ein meist zähes Vorankommen: neben Lastwagen, Autos, Motorrädern und Karren aller Art buhlen um die Nutzer öffentlichen Nahverkehrs zahllose Busse, Taxis, Motor-, Fahrrad- und handgezogene Rikschas, Fährboote, eine U-Bahn und einige Straßenbahnlinien. Ein Fährboot nehme ich, lande allerdings nicht ganz dort, wo ich mir ausgerechnet hatte (das System ist auf nicht sprachkundige weniger ausgerichtet). Egal, dafür erwische ich dann einen Bus zum richtigen Ziel, allerdings völlig zufällig. Denn auch das Bussystem ist eher etwas für eingeweihte, nur nach ausgiebigem Studium zu überblicken. Einfacher die Metro, schnell und bequem durchquert man damit die Stadt, um zum Beispiel den Kali-Tempel zu erreichen. Schneller als auf jeder Straße und zu einem unschlagbaren Preis, manch schlitzohriger Taxifahrer verlangt das 50-fache. Später rattere ich mit der Straßenbahn, einem gefühlt jahrhunderte alten Blechhaufen, in kaum mher als Schritttempo - in die falsche Richtung. Das lässt einen neuen Teil der Stadt sehen, der allerdings außer viel Verkehr nichts aufregendes zu bieten vermag, also das ganze entspannt wieder retour.

Laufrikschas dienen als Nahverkehrsmittel rund um die Märkte
Hühner werden gebündelt transportiert
Von Ladebeschränkungen hält man im allgemeinen nicht viel

Da ich meist früh morgens schon unterwegs bin, kann ich nur einmal das Frühstück im Fairlawn genießen. Volles englisches Frühstück, der Kaffee frisch in Porzellankannen aufgebrüht und diese mit altmodischen Kaffeewärmern versehen, großartig. Dazu der übliche Personaleinsatz: Einer bedient, ein halbes Duzend stehen oder sitzen rum oder debattieren irgend etws, Einer fegt beständig Staub von A nach B, als wurde sich dieser allmählich auflösen, wenn man ihn nur oft genug hin und her fegt.

Indian Coffeehouse

In der Stadt besuche ich noch etliche bereits bekannte Orte, unter anderem den immer wieder sehenswerten Blumenmarkt an der Howrah-Brücke, die College-Street mit ihren Buchhändlern und dem Indian Coffeehouse, einer echten Institution. Ein wenig scheint in Kolkata die Zeit still zu stehen und gleichzeitg an der Substanz zu nagen. Die vielen alten Gebäude wirken geradezu organisch, als würde sich Stein langsam in eine lebende, sich selbst verzehrende Masse verwandeln. Halb verfallen und von Grün überwuchert kommen so manche oberen Stockwerke daher. Irgenwie mag ich die Stadt, weil sie sich gibt wie sie ist, ungeschminkt indisch.

Frühstücksverkäufer am Kali Tempel
Blumenketten rangieren unter den Opfergaben weit oben
Brücke zum Blumenmarkt
Gleich hinter dem Markt: wohnen an den Bahngleisen

Als ich letztes Mal nach Varanasi fuhr, ereilte mich tags zuvor eine Magenverstimmung in Allahabad. Man rate, was dieses mal passierte. Exakt vor der Weiterreise nach Varanasi erwischt mich die von Übelkeit begleitete Magen-Darm Geschichte, die man hier gerne als "Delhi Belly" bezeichnet. Das kann einem schon die Laune verderben und setzt mich zwei Tage außer Gefecht. Ob's am Fluch der sehr hartnäckigen Bettlerin in Kalighat liegt, die ich abblitzen ließ? Ich bin sicher, Varanasi hat keine Schuld. Nächstes mal sollte ich ohne Umwege direkt dorthin reisen, in meine Lieblingsstadt in Indien.

Früh morgens fliege ich also nach Varanasi und vom neuen Flughafen braucht es fast eine Stunde in die chaotische Stadt. Die Altstadt kann von Autos nicht befahren werden, daher lasse ich mich am Endpunkt der Taxifahrt vom Guesthouse abholen. Eine Viertelstunde kreuz und quer durch das Gassenlabyrinth, das hätte ich niemals gefunden. Die teilweise kaum einen Meter breiten Gassen sind auch auf keinem Stadtplan, geschweige denn Google Maps, verzeichnet. Da das bewährte Ganpati House, wo ich bisher wohnte, leider mittlerweile auf Portalen wie tripadvisor völlig gehypt wird (zurcht, muss man sagen), ist es leider immer ausgebucht. Die gewählte Alternative, das Marigold Guesthouse, liegt auch nur einen Steinwurf vom Fluss entfernt (auch wenn man davon zunächst nichts sieht), ist aber von der Stadtseite her quasi unauffindbar.

Die nächsten zwei Tage sehe ich überwiegend meine Zimmerdecke (rosa, lila Trägerbalken, blauer Ventilator, eigenlich hübsch) sowie die schmalen Gassen von meinem mehr oder weniger affensicher vergittertem Balkon. Ohne Gitter könnte ich fast mit ausgestrecktem Arm Leckereien aus dem Wok hinter dem Fenster gegenüber angeln, die gut riechen, aber feste Nahrung ist momentan nicht willkommen. Selten habe ich so viel geschlafen. Angesichts eines zwar sehr großen Bettes, das aber den Komfort einer Holzplatte aufweist, lässt das schon auf eine gewisse Ermattung schließen.

Sehen wir es positiv, zumindest kann ich stets damit angeben, in der heiligsten Stadt der Hindus streng gefastet zu haben. Wenn uach unfreiwillig. Eine nette und yogaaffine Italienerin aus dem Nachbarzimmer schenkt mit eine Fläschen mit irgendeinem Bio Irgendwaskernextrakt, das sei, wie sie mehrfach betont "very powerful" und erledige alle Bakterien atomwaffengleich (gut, das waren nicht exakt ihre Worte). Sehr nett, ausprobieen schadet ja nicht. Und tatsächlich, es scheint zu helfen. Das Zeug schmeckt grausig, was bei Medizin bekanntlich eine gte Eigenschaft sein soll und heute geht es jedenfalls besser.

Inzwischen kenne ich auch alle Arten Geräusch, die Affen von sich geben können. Die Palette ist umfangreich und umfasst Tonlagen zwischen Vogelgewitscher, Babygekreische und Hundebellen. Außer im Lesen und Schlafen sowie kurzen Einkäufen bestand meine Kurzweil darin, den Affenhorden bei den halsbrecherischen Fassadenklettereien in meiner Gasse zuzuschauen. Es gibt nichts, wo ein Afffe nicht hinkommt, soviel steht fest. Ich wohne im dritten Stock und hier erscheinen die Viecher wie aus dem nichts und hangeln sich an mehr oder weniger nichts bis auf die Dächer. Zu Arbeitsunfällen kommt es dabei offensichtlic nicht, jedenfalls sieht man nirgends abgestürzte Äffchen in den Gasse liegen.

Den heutigen Tag habe ich dann doch für Freigang genutzt und war längs des Ganges unterwegs. Dazu vielleicht später mehr. Viel verändert hat sich hier nicht, außer dass man verstärkt um Sauberkeit bemüht ist und haufenweise Mülleimer (mit Mülltrennung!) aufgestellt hat. Morgen geht es weite rüber Delhi nach Amritsar. Falls am Flughafen Delhi Wifi vorhanden ist, könnte ich die Wartezeit mit weiterem Text überbrücken, man wird sehen.

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