Die Hauptstadt Kambodschas ist relativ klein und beschaulich, vergleicht man sie mit anderen Metropolen Asiens. Es ist die Hauptstadt eines armen Landes, das noch entfernt ist von „stabilen Verhältnissen“. In den Siebzigern brachte das Terrorregime der Khmer Rouge einen nicht geringen Teil der eigenen Bevölkerung um, zuvor wurden im Vietnamkrieg ganze Landstriche weggebombt. Diese Wunden lasten bis heute auf der Nation.
Nach Kambodscha kommt man vor allem wegen der Tempel von Angkor, faszinierende Zeugnisse einer Hochkultur und eines der bedeutendsten Baudenkmäler Asiens. Phnom Penh ist oft nur Durchgangsstation und bietet wenige Sehenswürdigkeiten, sieht man von Einblicken in die Zeiten des Schreckens ab. Ein Foltergefängnis ist heute Museum, die „Killing Fields“ am Stadtrand sind Gedenkstätte mit einem Mahnmal, gebaut aus tausenden Schädeln der einst in Massengräbern verscharrten.
Offenen Augen zeigen sich in der entspannt wirkenden Stadt aber auch die kleinen Höllen des heutigen Lebens. Phnom Penh ist eine der Drehscheiben für Menschenhandel und Kinderprostitution, befördert von Armut und Korruption. In einem der Straßencafés verderben mir zwei Franzosen im gesetzten Alter, die mit ihren augenscheinlich minderjährigen Begleiterinnen ein paar Tische weiter sitzen, den Appetit. Tausende Straßenkinder leben in Phnom Penh, sammeln Müll, betteln, schnüffeln Klebstoff, der das Leben erträglicher machen soll. Gleich bei meinem ersten Abendessen an der Uferstraße des Mekong starren mir eine Handvoll von ihnen hungrig das Essen förmlich vom Teller. Das habe ich so unerträglich noch nicht einmal in Indien erlebt. Das europäische Gewissen veranlasst mich, für die Hungernden noch eine Portion der gebratenen Nudeln kommen zu lassen, was fast eine Prügelei unter den Kindern auslöst. Die Stärkeren essen, hilflose Hilfe.
Hilfe gedeiht im Kleinen. Ich besuche ein Projekt, in dem ehemalige Straßenkinder wohnen und eine umfassende Schulbildung erhalten. Sie lernen Französisch, Englisch und Japanisch, was die Chancen auf einen Job im wachsenden Tourismussektor erhöht. Einige der heutigen Lehrer kamen früher selbst von der Straße hierher. Ein unglaublich engagierter Gründer des Projekts und viele Spender, vor allem aus dem Ausland, ermöglichen die Arbeit, für die sich der Staat weniger verantwortlich sieht.
Einer der Jungen im Projekt ist Mech, der heute sechzehn ist und einer der wissbegierigsten Schüler. Bevor er das Glück hatte, im Kinderheim aufgenommen zu werden und gute Chancen für die Zukunft zu bekommen, lebte Mech etliche Jahre auf der Straße und auf den Smokey Mountains. Die „rauchenden Berge“, das ist in Phnom Penh die umgangssprachliche Bezeichnung für die riesige Mülldeponie am Stadtrand. Dort fahre ich hin mit dem Jungen.
Per Autorikscha erreichen wir die Vororte der Stadt. In den Gassen sind zunehmend Betriebe zu sehen, die Plastik, Glas, Papier und Metalle recyceln. Der „grüne Punkt“ heißt hier Handarbeit in Hinterhöfen. Und die Rohstoffe kommen von dem Berg, den wir kurz darauf erreichen, ein Müllhaufen unvorstellbaren Ausmaßes. Am Fuße des Berges ein See, fast schwarz, abgestorbene Bäume in der vergifteten Brühe und eine Ansammlung von windschiefen Wellblechhütten. Hier leben einige hundert Familien, die gemeinsam mit zahlreichen Straßenkindern vom und auf dem Müllberg leben. Eine fest gestampfte „Straße“, mit Metallplatten stabilisiert, führt auf den Berg. Lastwagen liefern hier rund um die Uhr den Unrat der Hauptstadt an und sorgen für ein stetiges Wachsen des Berges.
Ein Riesenmüllhaufen bei 35°, man kann sich den Gestank kaum vorstellen. In der Luft liegt außerdem ein beißender Qualm, denn der Berg brennt und schwelt an vielen Stellen, das gab ihm seinen Namen. Mitten in diesem Inferno hunderte von Menschen, ausgerüstet mit Metallhaken und Plastiksäcken sammeln sie alles verwertbare auf dem Müll. Die Säcke mit Plastik, Metall und allem, was wiederverwertbar ist, landen dann in den Recyclingbetrieben. Tag und Nacht, bei Dunkelheit mit Scheinwerfern, wird hier Müll gesammelt, 12 Stunden, 14 Stunden für einen US$. Das reicht zum Überleben im Slum, mehr nicht, dafür arbeiten hier Kinder, Männer, Frauen.
Was mich irritiert ist die Normalität des Lebens hier im Müll. Es gibt fliegende Händler, die Snacks verkaufen, ein paar Jugendliche spielen Fußball und in behelfsmäßigen Unterständen wird Essen gekocht. Man lebt, man arbeitet und niemand klagt. Das ist aber nicht nur auf Duldsamkeit und Fatalismus zurückzuführen, ich bin erstaunt über die Selbstverständlichkeit und ich glaube sogar den Stolz, mit dem hier gelebt wird. Die Menschen sind offen und aufgeschlossen gegenüber mir als exotischen Besucher, viele Ausländer dürften sich hierher nicht verirren.
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