Dienstag, 13. September 2011

Ein Hort schlechten Benehmens

Sich über Urlaubsunterkünfte auszulassen ist im Allgemeinen unnötig und langweilt den Leser nur. Hier gilt es, eine Ausnahme zu machen.
In New York bin ich nämlich nicht in irgendeinem Hotel untergekommen, das ebenso in Rio, Singspore oder Stuttgart stehen könnte. Nein, ich wohne im Chelsea - ich wollte im Chelsea wohnen. Doch dann kam alles anders. Meine Buchung war bestätigt und keine konnte damit rechnen: am 31.07. wurde das Hotel nach Verkauf schlagartig geschlossen. Ab August gibt es während umfangreicher Renovierung keine Gäste mehr, die verbliebenen 100 Langzeitbewohner werden nach und nach vor die Tür gesetzt. Ich musste kurzfristig umbuchen und was mir vom Chelsea bleibt ist die dazugehörige Literatur im Gepäck. Aber was hat es überhaupt mit diesem Hotel, auf sich, warum bin ich etwas traurig, nicht genau dort zu wohnen, warum lohnt es darüber zu schreiben?

Das Chelsea Hotel wurde 1883 erbaut und konnte sich für einige Jahre rühmen,
mit 12 Stockwerken das höchste Gebäude New Yorks zu sein. Konzipiert war der pseudo-barocke Backsteinkasten als Appartementhaus, 1905 wurde er als Hotel umgewidmet. Das alles rechtfertigt noch keine Geschichte, wird der aufmerksame Leser nun einwenden. Ein zwar altes, aber entsprechend abgewohntes und mäßig komfortables Hotel, nun ja.


Die eigentliche Geschichte speist sich aus der illustren Gesellschaft, die hier im Hause weilte. "Ein Hort legendär schlechten Benehmens" titelte Magazin Merian seinen Artikel über das Chelsea Hotel, gab ihm den Beinamen "Zufluchtsort für Ausgeflippte". John Lennon ging hier ein und aus, Stanley Kubrick hauste hier ebenso wie Arthur Miller und Mark Twain. Bob Dylan und Jimmy Hendrix stiegen ab und für Leonhard Cohen war es lange Zeit ein Zuhause. Cohen besang das Haus sogar in einem  seiner Songs und Andy Warhol, natürlich auch ein Mieter auf Zeit, drehte "Chelsea Girls". Einige haben, ohne es zu wissen, bereits Einblick erhalten, etliche Szenen aus "Leon, der Profi" wurden im Treppenhaus des Hotels gedreht.
Punk-Legende Sid Vicious von den Sex Pistols ermordete in Zimmer 100 angeblich seine Freundin, bevor er ein Jahr später selbst an einer Überdosis eben dort starb. Dichter Dylan Thomas raffte in seinem Appartement der Alkohol dahin. An mehr oder wenger Durchgeknallten herrschte hier vor Jahrzenhten kein Mangel. William S. Burroughs schrieb den Drogenroman "Nakes Lunch" im Chelsea Hotel - ich habe ihn als authentische Reiselektüre eingepackt.



Musiker, Dicher. Maler mieten sich teils für Jahre im Hause ein, auch zuletzt gab es noch etwa hundert Langzeitmieter. Das Treppenhaus ist zugepflastert mit Gemälden chronisch zahlungsunfähiger Künstler, die damit ihre Miete beglichen.

Der Spiegel bescheinigte dem Chelsea Hotel eine "Atmosphäre unkontrollierbaren Verfalls" und schreibt weiter: "Sänger Leonard Cohen sagte einmal, das "Chelsea" gehöre zu jener Sorte Hotels, in die man 'um 4 Uhr morgens mit einem Zwerg, einem Bären und vier Ladies im Schlepptau einchecken kann, ohne dass es jemanden stört'."

Ich bin ohne Zwerg und Ladies gekommen, aber leider dennoch anderweitig einquartiert. Meine Unterkunft Pennsylvania ist ein gleichfalls in die Jahre gekommener 1700-Zimmer-Bunker, zentral gelegen, aber leider ohne den Hauch von Charme. Wenn man sich schon in einer Stadt aufhält, wo viel Geld für schäbige Löcher
zu zahlen ist, hätte ich wenigstens gerne Flair dafür gekauft.
Wo sonst als im Chelsea könnte man absteigen in New York?

1 Kommentar:

  1. Du kamst ohne Ladies und Zwerg, was ist mit dem Bären? War das Dein Sitznachbar aus dem Flugzeug? Und der ist bei der Imigration niemandem aufgefallen? Im Chelsea hättest Du sicher auch mit Katze auf dem Kopf einchecken können. Ich trinke ein Becks auf Dich - für nur € 2,50. Grüße, N

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